Mit Apfelsinen gehandelt

Veröffentlicht: 19. November 2009 von Gus Tarbiter in 3 Minuten Nachspielzeit
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 Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Apfelsine und einer Orange? Im Netz habe ich dazu die Erläuterung gefunden, dass Apfelsine ursprünglich eher der norddeutsche und Orange eher der süddeutsche Name für die gleiche Frucht sei. Dann frage ich mich aber, warum es fast nur Orangensaft, aber nur ganz selten Apfelsinensaft gibt (der einzige, an den ich mich erinnern kann, war einer mit 100% Fruchtanteil von Aldi Nord). Wurde denn die komplette norddeutsche Apfelsinenernte über die Speyerer Linie gekarrt, mutierte an selbiger zur Orangenernte um als solche dort saftiert und abgefüllt zu werden. Die dortige Citrusfruchtsaftverpackungsdesignvormachtstellung hat dann zu dieser allgemein auch im Norden gebräuchlichen Bezeichnung des Saftes geführt (außer im deutschsprachigen Belgien, aber der Belgier, zumal der deutschsprachige, ist ja sowieso ein Fall für sich, gerne verweise ich dazu auf seine Betrachtung durch Herrn Droste)?

Als Apfelsinen-Kind glaube ich, dass der Untergang der Apfelsine z.T. auch eine Frage des Werbedeutschsichwichtigfindfeinsprech ist. Da wird die arme bodenständige, ein bisschen altbacken nach 70er Jahre Tapete klingende Apfelsine sprachlich gedisst und die mediterran und weltmännisch klingende Orange, die einen gewisses savoir vivre versprüht, immer weiter ins Zentrum sprachlicher Bedeutung gehypt. Jedoch: nicht mit mir! Zwar gebe ich gerne zu, dass auch ich O-Saft trinke, und die Mischung aus rot und gelb nicht apfelsin nenne, aber wenn ich die Frucht verspeise, wird es weiterhin die Apfelsine sein. Selten genug kommt es leider vor, zählt sie doch nicht zu meinen favorisierten Früchten, da sie zwar ein sehr leckeres, aber doch recht unerfreulich zu essendes Obst ist. Daher verwandele ich die Apfelsine meist in frisch gepressten, genau: Orangensaft – Mist!

 

Griechenland oder Spanien: Die Urlaubsfrage, so alt wie die Menschheit

 

In der Anleitung zu Finca ist natürlich auch von „Orangen“ die Rede (süddeutscher Verlag halt), und allein deshalb hätte das Spiel schon ein zu verschmähendes sein müssen. Doch wir verschoben das ebenfalls zur Auswahl stehende „Peloponnes“ auf nächste Woche und ließen uns vom Glanz und Glamour des reichhaltigen, vielfältigen, wunderschönen und vor allem sehr vollständigen Materials blenden. Hätten Jahoo und ich nicht auf der Messe im Staub des Schmidt-Standes die 107 Früchte, 1 Spielplan, 12 Windmühlenblätter, 42 Früchteplättchen, 10 Fincaplättchen, 16 Aktionsplättchen, 4 Bonusplättchen, 8 Eselskarren, 6 Holz-Fincas und 20 Bauern des Vorführexemplars durchgezählt (nebst des Materials eines Cardcassonne, dessen wortspielerischer Titel übrigens genau nach meinem Geschmack ist, eines Egizias und eines Dominions (lohnendes Ergebnis: 1 Kapelle war verknickt und konnte schnell an einem der Spieltische getauscht werden) wäre die fehlende Feige unbemerkt geblieben. So aber konnte ich problemlos direkt am Stand Ersatz bekommen – dafür an dieser Stelle auch mal herzlichen Dank an die sehr freundliche Mitarbeiterin des Schmidt-Standes.

Von diesem mundartlichen Fauxpas abgesehen war die Anleitung erfreulich kurz und schnell überstanden. Es hatte natürlich niemand zugehört und fast alle Frage blieben offen. Dies sollte sich im Verlauf des Spiels positiv für mich auswirken, konnte ich doch mit einigen Ach-übrigens-Regeln aufwarten, von denen bezweifelt wurde, dass a) ich sie vorgelesen hätte, b) sie überhaupt in der Regel ständen und c) sie so gemeint seien, wie ich sie erfunden hatte. Zugegeben traf c) sogar einmal zu, was einige erfreulich demütigende Äußerungen an meine Adresse zur Folge hatte.

 

Unschöne Szenen am Spielfeldrand 2: Mit Mach 10 nach Ödland

 

Diese, verlagsseitig sicherlich ungewollten, kurzen Stimmungshighlights und einige jengaartige Einschübe auf dem viel zu kleinen Spielbrett, sollten die Höhepunkte des Abends bleiben, plätscherte das Spiel doch relativ ereignisarm vor sich hin. Das ganze Spielgeschehen entpuppte sich als eher old-school – es hätte für ein gutes Spiel Anfang der 90er gereicht, nicht aber für einen Anwärter auf das Spiel des Jahres 2008, auch nicht unter Familienspielgesichtspunkten – eindeutig nicht. Der von mir als erfreulich unverbraucht eingestufte Zugmechanismus der Bauern auf der Windmühle entpuppte sich in der dargebotenen Art und Weise als Rohrkrepierer. Zu oft musste man einen einzelnen Bauer ein superödes einzelnes Feld vorsetzen, um eine Frucht zu erhalten, die man brauchte (Glück gehabt) oder eine, die man gerade nicht brauchte (Pech gehabt) in Kauf zu nehmen, um aber dafür dem nächsten Eselskarren ein Stück näher zu kommen. Und das war dann der ganze Zug… Der vermutlich erzielte Effekt des geschickten Taktierens auf den Setzfeldern fiel bei uns komplett aus – reine Anfängerdämlichkeit? Auch bei der Alternative, das Gesammelte einzutauschen, stellte sich nicht die normalerweise, wenn man die Früchte seiner Arbeit erntet (war hier ja schon geschehen, wenn man’s mal wörtlich nimmt), zu erwartende Befriedigung ein. Abgeben, Plättchen nehmen, und das war dann der ganze Zug… Zu selten folgte darauf eine Besonderheit wie eine Extra-Wertung.

 

 

Überhaupt fühlte man sich in seinen Zugmöglichkeiten viel zu stark eingeschränkt. Jeder liebt es doch, den besonderen, den genialen Zug zu machen, der die Mitspieler überrascht, mit dem sie nicht gerechnet haben, der einen weit nach vorne katapultiert. Der Monsterzug halt, bei dem einem die Hände ein kleines bisschen vor Aufregung zittern. Gibt’s hier nicht. Ich hab’s versucht, HErr Rossi hat’s versucht, beide Male scheiterte es daran, dass man nur ein Sonderplättchen maximal einsetzen darf – damit ist kein wirklicher Monsterzug möglich, nur ein minimaler Ausnahmsweisezug. Ich bin mir zwar sicher, dass das gute redaktionelle Gründe hat (Unwucht, zu stark, nicht drüber nachgedacht), aber unspektakulär bleibt es trotzdem. Im Ergebnis hatten wir am Ende jeder mindestens 2 der Sonderplättchen übrig, weil sie am Ende ja immerhin noch 2 Punkte wert sind (vielleicht zuviel, sonst wäre der Anreiz höher, sie einzusetzen) – reine Anfängerdämlichkeit?
So passierte unserer Partie das, was einem Spiel in meinen Augen das Genick bricht: sie wurde egal.

 

Spielspaß: 4+, Werbedeutschsichwichtigfindfeinsprech: 2+

 

Das Blöde ist nur, dass wir vermutlich niemals herausfinden werden, ob das Spiel beim zweiten Mal besser ist, denn eine repräsentative Umfrage ergab, dass bei ca. 100% der Befragten, der Bock, es noch einmal zu versuchen, den, seinen Urlaub auf Mallorca zu verbringen, sogar noch unterschreitet.
Da hätten auch „Apfelsinen“ in der Anleitung vermutlich nichts dran geändert.

Gus
(berichtete vom 11.11.09)

PS: Glaubt man Wikipedia ist die Bezeichnung „Karotte“, gleich der „Orange“, auf dem sprachlichen Vormarsch. Ist das so? Ich habe den Eindruck, in meinem beschränkten Umfeld wird noch immer die „Möhre“ und vor allem die „Mohrrübe“ bevorzugt. Es ist sogar häufiger von „Möhrensaft“ als von „Karottensaft“ die Rede, würde ich meinen, ohne je ernsthaft darüber nachgedacht zu haben.

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